Bargeld auf dem Weg in die Schweizer Verfassung
Die Schweizer Landesregierung will Bargeld ins höchste Gesetz schreiben. Wichtige Grundvoraussetzungen dafür, dass Banknoten und Münzen als Zahlungsmittel genutzt werden können, sollen aber nicht von der Verfassung garantiert werden. Viele Bürger und Parlamentarier sehen das anders. Von Hakon von Holst, 04.12.2024.
Wer in der Schweiz ein Café aufsucht oder einen Weihnachtsmarkt besucht, der hat als Barzahler immer öfter ein Problem. Auch die Schweizer Bundesbahnen und das im Buslinienverkehr führende Unternehmen Postauto wollen Bargeld weitgehend abschaffen. Doch der Bundesrat, also die Landesregierung der Eidgenossen, hält einen Bargeld-Annahmezwang derzeit für »weder angemessen noch notwendig«.
Anders als in Deutschland gibt es in der Schweiz keine Koalitionsverträge. An der Regierung werden alle großen Parteien beteiligt und das Regierungskabinett entscheidet nach dem Konsensprinzip. Ein Votum der Regierung heißt noch lange nicht, dass der Gesetzgeber den gleichen Weg einschlägt. Und so könnte das Parlament am 18. Dezember beschließen, den Bürgern eine Frage zur Abstimmung zu unterbreiten: Soll die Verfassung bestimmen, dass »in der Regel« Bargeld als Zahlungsmittel anzunehmen ist?
Wenn das Stimmvolk seinen Segen gibt, dann hätte der Staat als Garant der Verfassung den Auftrag, sicherzustellen, dass die Akzeptanz von Banknoten und Münzen die Regel bleibt (und nicht im großen Stil untergraben wird). Eigentlich sagt bereits das Schweizer Gesetz, dass Banknoten »von jeder Person unbeschränkt an Zahlung genommen werden« müssen. Eine sehr viel eindeutigere Formulierung als in Paragraf 14 des deutschen Bundesbankgesetzes, in dem nur vom einzigen unbeschränkten gesetzlichen Zahlungsmittel die Rede ist.
Allerdings gibt es in beiden Ländern keine Strafe für denjenigen, der Bargeld ablehnt. Und nach verbreiteter Auffassung von Juristen und Behörden bedeutet das, dass im Rahmen der sogenannten Vertragsfreiheit schon in den allgemeinen Geschäftsbedingungen die Kartenzahlung als Bargeldersatz verankert werden darf. Ein transparentes Schild an der Ladentür – »hier nur Google-Pay und EC-Karte« –, und fertig.
Der Verfassungszusatz fand in der Parlamentskommission für Wirtschaft und Abgaben am 8. Oktober keine Mehrheit (16 Nein-Stimmen, 8 Ja-Stimmen). Die im Gesetz verankerte Annahmepflicht brauche »in den Augen der Kommissionsmehrheit keine zusätzliche Verfassungsbestimmung«. Nun aber ist das Parlament am 18. Dezember in seiner Gesamtheit gefragt. Eine Initiative um den Politiker Richard Koller bittet Schweizer Bürger, sich bis zum 7. Dezember an einer Petition an die Abgeordneten zu beteiligen. Dabei beruft er sich auf die Unterstützung von zwei Seniorenverbänden. Die Petition samt den Unterstützungsschreiben sozialer Organisationen soll am 8. Dezember dem Nationalratspräsidenten überreicht werden. (Nachtrag 02.01.25: Das Parlament wird erst im März 2025 über die Vorlage beraten. Die Petition läuft daher weiter.)
Wie kommt es überhaupt zur Debatte um eine Annahmepflicht? Richard Koller und die Freiheitliche Bewegung Schweiz starteten 2021 eine Volksinitiative unter dem Titel »Bargeld ist Freiheit«. Die notwendigen 100.000 Unterschriften kamen innerhalb der Frist von anderthalb Jahren zusammen. Somit muss das Begehren dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden. Die Initiative überreichte der Landesregierung 2023 insgesamt 140.000 gültige Unterstützungserklärungen. Für Schweizer Verhältnisse ein beachtenswerter Erfolg.
Der Bundesrat erkannte, dass die Initiative auf große Zustimmung stößt, und stellte diesen Sommer einen Gegenentwurf vor. Dem Volk würden also gleich zwei Vorschläge zu einem Verfassungszusatz unterbreitet werden: zum einen die Variante der Freiheitlichen Bewegung Schweiz. Sie will erreichen, dass der Staat auf Bundesebene dafür sorgt, dass »Münzen oder Banknoten immer in genügender Menge zur Verfügung stehen«. Außerdem soll der Schweizer Franken als Währung ausdrücklich geschützt werden.
Der Gegenentwurf der Landesregierung übernimmt diesen Punkt ebenfalls, bei der Bargeldverfügbarkeit gibt es aber einen Unterschied: »Die Schweizerische Nationalbank gewährleistet die Bargeldversorgung«, heißt es dort. Nun stellt sich die Frage, was unter »Bargeldversorgung« zu verstehen ist. Die Notenbank besitzt keine regulatorische Befugnis, die Banken zu zwingen, ihren Kunden Bargeldauszahlung anzubieten und ein Netz von Filialen und Automaten für Unternehmen und Privatmenschen zu unterhalten. Somit liefert die Formulierung des Bundesrats einen Hinweis, dass der Verfassungsartikel lediglich gewährleisten soll, dass die Nationalbank den Banken nach deren Bedürfnis Bargeld bereitstellt. Ob die Banken aber der Gesellschaft gerecht werden und einen guten Zugang zu Bargeld sicherstellen, steht auf einem anderen Blatt.
Ein zweiter Kritikpunkt ist, dass die Volksinitiative auf die physische Beschaffenheit von Bargeld hinweist (»Banknoten und Münzen«, also Papier- und Metallgeld), während der Bundesrat nur von »Bargeld« spricht. Spitzfindige Juristen könnten daher irgendwann argumentieren, dass eine staatliche Digitalwährung aus Bits und Bytes, die sich Grundeigenschaften von Bargeld teilt, deren Geldeinheiten aber keinen physischen Körper aus Papier oder Metall besitzen, ebenfalls verfassungsgemäßes Bargeld wäre.
Das Parlament kann den Gegenvorschlag der Landesregierung abwandeln. Ein Parlamentarier beantragte, die Variante des Bundesrats um den Grundsatz der Annahmepflicht von Bargeld zu ergänzen. Abgestimmt wird darüber am 18. Dezember. Eine zweite Volksinitiative, die dem Staat sehr ausführliche Vorgaben gemacht hätte, wie Akzeptanz und Verfügbarkeit von Bargeld zu gewährleisten sind, scheiterte im September im Sammelstadium, da die notwendigen 100.000 Unterschriften nicht zusammenkamen. Schweizer Bürger können den Vorschlag aus dem Parlament, die Annahmepflicht in Verfassungsrang zu erheben, bis zum 7. Dezember als Petitionszeichner unterstützen.
Im Euroraum fordert die Europäische Zentralbank, dass Staat und Wirtschaft Bargeld verpflichtend annehmen müssen. In Spanien gilt seit dem 28. Mai 2022 ein Annahmezwang, in Belgien seit dem 30. März 2024, in Norwegen seit dem 1. Oktober. In den Niederlanden, in denen nach letzter Erhebung der Nationalbank bereits 16 Prozent der Apotheken Bargeld ablehnen, hat das Unterhaus im September für eine Annahmepflicht gestimmt. Wie eine Pressesprecherin des niederländischen Finanzministeriums auf Anfrage des Autors mitteilt, müsse der Senat noch zustimmen. Einen Termin dafür gebe es noch nicht. Eine Petition für die Sicherstellung der Akzeptanz und Verfügbarkeit von Bargeld im gesamten Eurogebiet steht inzwischen bei 97.000 Unterschriften.
Bargeld muss erhalten bleiben nur bares ist wahres.
Das sehe ich auch so.
Die Schweiz kann zu einem Vorreiter für ganz Europa werden.
Da die Banken uns dann nur noch mit Gebühren arglistig abzocken haben wir keine alternative mehr ohne Bargeld.
Es macht mir Angst, als Antwort auf meine, in den Raum gestellten Überzeugungen vom Verlust der Freiheit, die Weise von der Bequemlichkeit bei Kartenzahlung zu hören. Und man habe doch, außerdem, nichts zu verbergen. Auch mein Hinweis darauf, daß sich, um etwas zu verbergen zu haben nur das Gesetz ändern muß, überzeugt nur Wenige.
Ich finde es äußerst unbequem, mit dem Wissen durch das Leben zu gehen, daß all mein Handeln in Bezug auf Geld jederzeit von jedem x-beliebigen Alltagshacker nachverfolgt werden kann – geschweige denn von Behörden, denen meine Haltung zu politischen Angelegenheiten mißfällt.
Es ist spannend, wie in der Bevölkerung, augenscheinlich, das Vertrauen in die Demokratie in gleichem Maße verloren geht wie es in die Funktionen eines bitterbösen kapitalistischen Fahrwassers wächst.
Besonders unter jungen Leuten, die Bargeld als Hauptzahlungsmittel nicht mehr kennengelernt haben und die außerdem, mehr als ich und skrupelloser, von einer verbreiteten stupiden Geschäftsgesinnung vereinnahmt wurden, ist, nach meinen Erfahrungen, die Ansicht häufig, daß die Kartenzahlung das bessere Mittel sei.