Hakon von Holst spricht auf dem Kongress der Geldtransportunternehmen in Prag. (Foto: © Pete Jones, Auflösung komprimiert.)
Die heimliche Kampagne gegen Bargeld
Die Kartenunternehmen Visa und Mastercard gehören zu den Profit-trächtigsten Konzernen der Welt. Die Branche der Bargeldtransportfirmen wirkt daneben wie ein Zwerg. Eine kleine Interessenvertretung in Brüssel kann sich der Sektor aber leisten. Hakon von Holst sprach am 3. Juni 2024 auf dem Jahreskongress des Europaverbands für Sicherheitstransporte (ESTA) in Prag. In seinem Vortrag enthüllte er eine globale, aber versteckte Kampagne gegen Bargeld. Hier folgt seine Rede in voller Länge und auf Deutsch. 13.06.2024.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie sich mitnehmen auf eine Zeitreise. Wir schreiben das Jahr 2013 und die tschechische Presse fragt: »Schmutziges Geld?« – »Schauen Sie in Ihr eigenes Portemonnaie!« – »Für Europäer ist Bargeld der dreckigste Alltagsgegenstand.« Die Tageszeitung Lidové noviny hier in Prag fügt an: »Die durchschnittliche Banknote weist rund 26.000 Bakterien auf …«
Was Sie eben gehört haben, das war kein lokales Phänomen. Wir sprechen über eine globale Kampagne mit Konsequenzen bis zum heutigen Tag.
Mein Name ist Hakon von Holst. Ich bin Journalist, ich publiziere auf den Gebieten Umwelt, Landwirtschaft, Finanzen, Bürgerrechte – und ich gehe dem Krieg gegen das Bargeld auf den Grund seit 2019. Mein Ziel ist, eine Bewegung zu entfachen in Deutschland: Die Barzahlung muss bewahrt werden. Ich finde, eine freie Gesellschaft braucht ein freies Zahlungssystem wie Bargeld.
Bislang habe ich 100 Recherchen zum Thema veröffentlicht. Ich werde Ihnen nun eine davon vorstellen: Die Erfindung einer Gesundheitsgefahr durch Banknoten – unter der Regie eines Kartenunternehmens. War diese Nummer ein Einzelfall oder ist sie Teil einer großen fortlaufenden Kampagne der Finanzbranche? Das untersuchen wir im zweiten Teil des Vortrags. Und es wäre sinnlos, sich nur über den Krieg gegen das Bargeld zu beklagen. Darum zeige ich am Ende, in knapp 20 Minuten, wie Sie helfen können, das öffentliche Image von Bargeld attraktiv zu machen. Los gehts!
Geschichten aus Oxford
Wo begann die ganze Kampagne? Georgia McCafferty war zum Praktikum bei CNN. Am 28. März 2013 erschien diese Story unter ihrem Namen online auf CNN …
Sie berichtete von einer Umfrage: »Europäer glauben, Bargeld ist der dreckigste Alltagsgegenstand, mit dem sie in Kontakt kommen.« Und McCafferty sagte: Die Leute »haben recht«. »Unabhängige Untersuchungen von Wissenschaftlern an der Universität Oxford« brachten an den Tag, »dass auf der durchschnittlichen Banknote 26.000 Bakterien sitzen, genug Bakterien, dass dir übel wird, und genug, womöglich gar Krankheiten zu verbreiten«.
Der Mann mit den Hygienehandschuhen hier ist Richard Quest. Er lud einen Mastercard-Manager in seine Fernsehshow ein. Seine Frage an den Gast: Wo kommen all die Bakterien her? Die Antwort: Sie kommen von zahlreichen Händen. Einige Medien, auch hier in Tschechien, stützten ihre Berichterstattung über Banknoten und Bakterien später auf CNN.
Ich begann zu recherchieren: Wo publizierte diese hocherlauchte Universität von Oxford ihre Forschungsergebnisse? Kein Treffer in Literaturdatenbanken, keine Presseerklärung. CNN vergaß etwas Wichtiges zu erwähnen: Die sogenannte Studie erschien exklusiv auf Mastercards Webseite. Eine Tabelle zeigte die durchschnittliche Zahl Bakterien auf Banknoten verschiedener europäischer Länder – zusammen mit einer Umfrage: Wie viel Prozent der nationalen Bevölkerung halten Bargeld für den unhygienischsten Gegenstand?
Der Durchschnitt in Europa: Was schätzen denn Sie?
Die Antwort: Fast 60 Prozent. Die Teilnehmer durften nur zwischen vier Optionen wählen: Bücher in der Bibliothek, die Tasten auf einem Kartenbezahlterminal, der Handlauf einer Rolltreppe und – die letzte und damit die prominenteste Option – Scheine und Münzen, die Sie als Wechselgeld erhalten. Die Betonung auf »als Wechselgeld erhalten« suggerierte direkten Kontakt mit einem unbekannten Stranger in der Vorstellung der Umfrageteilnehmer.
Für viele Medien war die Geschichte ein Hit. Es gab Artikel in der Presse in Frankreich, Schweiz …
… Dänemark …
… Spanien …
… Großbritannien …
… Russland …
… Ukraine …
… Japan …
… und anderen Ländern. Sie titelten »Banknoten und Münzen sind gefährliche Keimbomben«. Oder: »Bakterien-Hotspot im Geldbeutel.« Und: »Ekel-Geld.«
Die jungen Mitarbeiter von Ian Thompson hatten sicher einen lustigen Tag. Sie kratzten die Bakterien von den Banknoten. Herr Thompson ist Professor für Ingenieurwissenschaften in Oxford. Zu seinen Forschungsgebieten zählen Biogas-Anlagen und Abwasserwerke. Mastercard zitierte ihn in der Presseerklärung. In der schwedischen Version sagte Thompson: »Die Schweden glauben zurecht, dass Bargeld dreckig ist. Auf den schwedischen Banknoten, die wir untersuchten, befinden sich im Schnitt 39.600 Bakterien.«
Thompsons Worte wurde natürlich adaptiert für die deutsche Presseerklärung: »Die Euros, die wir getestet haben, enthielten durchschnittlich 11.000 Bakterien. Bei einigen Krankheitserregern reicht das für eine Infektion aus.«
Die Bakterien-Wirklichkeit
Was ist nun die Realität? Ist Papiergeld tödlich?
Einige Monate später, im September 2013, erschien eine interessante Studie. Forscher von Michigan und Arizona untersuchten: Wie viele Bakterien und Viruspartikel lösen sich von einer Banknote am Punkt der Berührung?
Was denken Sie? 20 Prozent oder 30? Die Antwort: 0,1 Prozent bei den getesteten Bakterien. Bei dem einen untersuchten Virus sprechen wir von 0,7 Prozent. Das hat zu tun mit der porösen Oberfläche von Banknoten. Die Mikroorganismen verschwinden zwischen ihren Fasern. Auf glatten Oberflächen – denken Sie an Kreditkarten oder wie hier an Keramikfliesen und Edelstahlflächen – funktioniert die Übertragung bis zu 700 Mal besser …
Mastercard kam mit großen Zahlen daher. Aber über die Verhältnisse blieben wir im Dunklen. Sie sagten: Eine Euro-Banknote weist 11.000 Bakterien auf. Sie sagten nicht: Die zwei Seiten des untersuchten 5-Euro-Scheins haben eine Oberfläche von 149 Quadratzentimetern. Wir sprechen also nur von 74 Bakterien pro Quadratzentimeter. Vergleichen wir das mit anderen Objekten!
Da gibt es 71 Bakterien auf der Küchentheke, 279 Bakterien auf den Armaturen im Badezimmer. 30.000 im Teppich …
Und 175.000 auf einem Quadratzentimeter Spülbecken …
Wir sehen, Banknoten sind ein sehr unfruchtbares Habitat für Mikroorganismen. Trinkwasser enthält Zehntausende Bakterien pro Milliliter. Ein zehnsekündiger Zungenkuss überträgt 80 Millionen Bakterien.
Und die Bakterienarten auf Banknoten sind keine Unbekannten. Die meisten finden sich auch auf unserer Haut. Unser Immunsystem würde nicht richtig funktionieren ohne das Hautmikrobiom. Das ist Stand der Forschung.
Zusammengefasst, Mastercard produzierte Schlagzeilen für die Medien. Man nahm einen emotional aufgeladenen Gedanken zur Basis: die alte Furcht vor Infektionen durch Berührung. Dann setzte das Unternehmen zwei Neuigkeiten in die Welt: die Bakterientests einer Topuniversität zur Bestätigung der Ängste und eine Meinungsstudie: Die Umfrage sollte Menschen bewegen, sich an der Mehrheit der Gesellschaft zu orientieren. Davon spricht auch eine Karikatur von Mastercard: drei angeekelte Männchen, darüber die Aufschrift: „Wann, denkst du, wird der Gebrauch von Schmutzbargeld gesellschaftlich tabu sein?“
Eine große Kampagne
Corona-Zeit
Wir haben jetzt viel über Bakterien gesprochen, aber Mastercard interessiert sich auch für Viren. »Bereite dich auf die Grippesaison vor und werde bargeldlos.«
Mastercard schrieb das auf Twitter in 2013. Sieben Jahr später kam Corona. Das war die goldene Stunde für das lang vorbereite Bild: Bargeld ist schmutzig. Der Effekt ließ nicht auf sich warten. Und Mastercard lieferte den Medien wieder Futter. In einer türkischen Presseerklärung von Februar 2020 warnte das Unternehmen vor der Übertragung von Viren via Bargeld – mit Verweis auf Oxford. Das stiftete Presseberichte nicht nur in der Türkei …
… sondern auch in Aserbaidschan …
… und China.
Die spanische Nachrichtenagentur EFE schürte ebenfalls Bedenken: obwohl die WHO dementiert habe, dass Bargeld das Virus verbreite, würden Banknoten laut einer Oxford-Studie bis zu 26.000 Bakterien übertragen. EFE verwechselte offenbar die Gegenwart von Bakterien mit ihrer Übertragung.
Afrika und Asien
In der Corona-Zeit nutzte Mastercard die Dienste eines PR-Unternehmens. Ich kam dem über Umwege auf die Schliche. Suchen Sie in Literaturdatenbanken nach den Stichwörtern »Banknoten« und »Bakterien«. Sie finden Dutzende sehr ähnlicher Studien. Man stellt dort die Behauptung auf, dass der Gebrauch von Bargeld Risiken beherbergt. Die Fachartikel tragen Titel wie »Eine Studie über die bakterielle Kontamination von libyschem Papiergeld« oder »Die Hygiene- und Mikroben-Situation bei sudanesischen Banknoten«. Hauptsächlich kommen die Studien von Afrika, aus dem Nahen und Mittleren Osten. Seit 2012 erscheinen sie in größerer Zahl in immer mehr Ländern, häufig in den bevölkerungsreichen Staaten Nigeria, Indien und Bangladesch.
Viele der Fachartikel enden mit einer Botschaft an die Regierung: Die Gesundheitsrisiken durch Bargeld müssen eingedämmt werden. Aber das Wesentliche wurde gar nicht untersucht: Bedeuten die Studienresultate eine reale Gefahr? Lesen Sie, welche Forderungen geschrieben stehen: »Menschen ermutigen … Bankkarten statt Bargeld zu nutzen.« Eine andere Studie endet: »Der Umgang mit Banknoten erfordert besondere Aufmerksamkeit …, weil sie Träger der Verbreitung von Seuchen sind.« Oder: »Regelmäßige Desinfektion von Bargeld … mit Ultraviolettlicht oder [toxischen!] Formalin-Dämpfen wird empfohlen.« Wir sprechen eindeutig über eine Kampagne.
Die einzige von mir erfasste Studie in Europa zu Banknoten und Bakterien kommt aus Polen: »Isolation kultivierbarer Mikroorganismen von polnischen Scheinen und Münzen.«
Und dort findet sich ein Hinweis ganz am Ende: »Diese Untersuchung wurde unterstützt von Weber Shandwick«, »Mikrobiologische Untersuchung von Banknoten und Münzen, 2010«. Geld für diese Arbeit floss demnach im Jahr 2010.
Weber Shandwick ist eine global führende Agentur für PR-Angelegenheiten. Mastercard nutzte ihre Dienstleistungen schon in den 2000ern. In der Coronakrise half die Agentur Mastercard, die Vorzüge kontaktloser Zahlungen zu bewerben. Und diese Arbeit brachte uns, so Weber Shandwick auf eigener Internetseite, »näher zu einer Welt jenseits des Bargelds«.
Die Agentur schreibt weiter: »Wir nutzten Forschungsdaten, um ein Narrativ zu entwickeln, das es Mastercard ermöglichte, in dieser kritischen Zeit mit den Entscheidern in Afrika und im Nahen Osten zu kommunizieren.«
Ein anderes Beispiel: 2014 organisierte Mastercard einen Contest in Indien. Mit einem Video wurde die Jugend zu ausgefallenen Ideen angeregt: Wie werden Lebensmittel bezahlt in der bargeldlosen Zukunft? Im Video fragt eine Stimme: »Wie wäre es mit einem Chip in deinem Zahn?« Ein Mastercard-Manager verriet später in einem Interview: Auch diese Marketingidee entstand in Zusammenarbeit mit Weber Shandwick.
Wir sehen, die Finanzindustrie schafft einen Anlass für die Gesellschaft, Bargeld den Rücken zu kehren und auf seine Produkte umzusteigen. Sie verbreitet dafür das passende Bild.
Lösungen für den Erhalt von Bargeld
Was wir tun können, um das Bild von Bargeld, sein Image, zu verbessern, das sehen wir jetzt im Schlussteil. »Wir konzentrieren uns darauf, Bargeld vom Markt zu drängen.« Dieses Ziel setzte der Geschäftsführer von Visa, Alfred Kelly, 2017. Die Kartenunternehmen erwirtschaften Profite von 15 Milliarden Dollar. Gibt es da eine Chance, den Kampf David gegen Goliath zu gewinnen? Die Werbung von Banken und Kartenunternehmen funktioniert mit Suggestion: »Unsere Produkte stehen für angenehme Empfindungen.«
Doch trotz aller Mühen besitzt das Image der Kartenzahlung zu wenig Anziehungskraft. Mehr scheint notwendig zu sein für den Erfolg: die Bargeld-Infrastruktur auslichten und Banknoten gefährlich erscheinen lassen.
Anmerkung
Zur notwendigen, aber gefährdeten Infrastruktur zählen etwa Bankfilialen, Bankomaten und Münzeinzahlautomaten.
Aber diese Kampagne verliert an einem bestimmten Punkt ihre Kraft: sobald die geschürten Emotionen von stärkeren Gefühlen in den Schatten gestellt werden. Meine Damen und Herren, Ihre Aufgabe ist es, die realen Vorzüge von Bargeld mit dem Bild einer guten Zukunft für alle Menschen zu verknüpfen.
Ein Beispiel: Bargeld statt Karte nutzt der Umwelt. Visa wirbt beim Handel mit den Mehrausgaben von Kartenzahlern. Tatsächlich hilft Bargeld vielen Menschen durch seine Haptik und Transparenz, die eigenen Ausgaben zu begrenzen. Das schmälert auch den überflüssigen und durch Werbebotschaften befeuerten Konsum. Im Effekt werden weniger Fabrikschornsteine qualmen. Dafür produzieren mehr Bäume Sauerstoff und mehr Blumen kommen zur Blüte.
Für Presse sorgen
Zweitens. Wir Journalisten brauchen aktuelle Entwicklungen und neue Erkenntnisse als Berichtsanlass. Darum, mein verehrten Zuhörer, schafft Gelegenheiten, über die Vorzüge des Bargelds und die Gefahren einer bargeldlosen Welt zu schreiben. Zum Beispiel verrückte Anekdoten von Chaos nach einem Ausfall der digitalen Zahlungssysteme. Oder eine neue Studie, die zeigt, dass sich der Umgang von Kindern mit Geld verschlechtert wegen der Nutzung elektronischer Bezahlsysteme.
Die Unternehmen in der Bargeld-Industrie operieren doch in verschiedensten Ländern. Man spricht dort verschiedene Sprachen. Wir Journalisten verstehen nur manche davon. Darum macht einen Englisch-sprachigen E-Mail-Verteiler für Medienschaffende, sucht emotionale Begebenheiten und schreibt über die neuesten Geschehnisse in ganz Europa.
Prägnante Aussagen nutzen
Zuletzt möchte Ihnen meine Zitatesammlung vorstellen. Hier sehen Sie berühmte Persönlichkeiten …
Die wollen das Bargeld vom Markt drängen …
Aber da gibt es auch andere wie Edward Snowden …
Die Grafiken finden Sie auf unserer Internetplattform Bargeldverbot.info – zusammen mit Quellenangaben und Hintergrundinformationen. Internetnutzer können die Zitate mit einem Klick in den sozialen Netzwerken teilen. Ich appelliere, ahmt das nach, übersetzt das in andere Sprachen, damit mehr Menschen erkennen, dass das System der Barzahlung in Gefahr ist und was auf dem Spiel steht.
Fazit
So, wir kommen zum Ende. Wir haben gesehen: Digitalisierung und Verdrängung des Bargelds passieren nicht zufällig und gottgegeben. Sie werden vorangetrieben von verschiedenen Einflussnehmern. Das Positive daran: Die Dystopie einer Welt ohne Bargeld kommt nicht zwangsläufig. Wir können auf eine gute Zukunft hinarbeiten. Und auf dem Weg dorthin besitzt Bargeld eine bedeutendere Rolle als Zahlungskarten. Meine Damen und Herren: Sie halten immer noch die besseren Karten in der Hand. Nutzen Sie sie! Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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