EZB-Chefin Christine Lagarde glaubt an die bargeldlose Gesellschaft
Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank und vormals Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), ist davon überzeugt, dass die Zukunft dem bargeldlosen Bezahlen gehört. Unter der Bargeldabschaffung versteht sie nicht einen Dammbruch für die Freiheit in unserer Gesellschaft, sondern ein geldpolitisches Instrument. Wenn unter den Bürgern kein Bewusstsein über den fundamentalen Nutzen von Bargeld und die Gefahr seiner Abschaffung entsteht, wird die Nachwelt dafür teuer bezahlen müssen.
Eine digitale Währung soll die Nachteile der Bargeldabschaffung neutralisieren
Durch den Rückgang der Bargeldnutzung und die Zunahme bargeldloser Zahlungen seit dem Frühjahr 2020 arbeiten viele Zentralbanken und Institutionen verstärkt daran, ein digitales Zentralbankgeld zu entwickeln. Eine Umfrage der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) förderte zu Tage, dass schon im Jahr 2019 80% unter den 66 befragten Zentralbanken an einer digitalen Währung arbeiteten und 40% damit sogar in die experimentelle Phase gegangen sind. Also in die Umsetzung.
In Singapur findet ein Mal im Jahr das Fintech-Festival statt. »Fintech« ist die Abkürzung für das Wort Finanztechnik. Es geht also um die ganz modernen und innovativen Produkte der Finanzindustrie. Neue digitale und bargeldlose Bezahlverfahren gehören darunter.
Organisiert wird das Event vom Bankenverband und der Zentralbank Singapurs Seite an Seite. Eine ganze Reihe internationaler Persönlichkeiten hat die Veranstaltung in den letzten Jahren mit einem Besuch gewürdigt: Justin Trudeau, Premierminister von Kanada; Königin Máxima der Niederlande; Agustín Carstens, Chef der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ).
2018 war Narendra Modi, Premierminister von Indien, der Hauptredner. Er reiste mit seinem Minister für Finanzen und Verteidigung an. Modi rief den Teilnehmern aus der Finanzwirtschaft zu: »Indien ist euer bestes Reiseziel.« Der Premier möchte in seinem Land das Bargeld abschaffen.
Ein Bargeldverbot liegt in der Luft
Neben Modi hielt auch Christine Lagarde, damals noch IWF-Chefin, am 14. November 2018 eine vielbeachtete Rede:
»In Singapur ist es oft windig. Der Wind hier bringt Veränderungen und Chancen. […]. Es ist der wahre Geist des Fintech-Festivals, die Türen zu einer neuen digitalen Zukunft zu öffnen und die Segel in den Wind der Veränderung zu setzen.«
Lagarde ist der Meinung, dass die Zukunft bargeldlos ist: »[…] wer wird in zehn, zwanzig, dreißig Jahren noch Geldscheine tauschen?« Sie findet, dass es auch Nachteile gibt, die mit der Bargeldabschaffung und dem bargeldlosen Bezahlen verbunden sind:
»Bargeld ermöglicht natürlich anonyme Zahlungen. Wir greifen zu Bargeld, um unsere Privatsphäre aus legitimen Gründen zu schützen: zum Beispiel um zu vermeiden, dass wir Hackern und Kundenprofilen ausgesetzt sind.«
Dafür gäbe es aber einen guten Kompromiss:
»Die Zentralbanken könnten eine digitale Währung so gestalten, dass die Identität der Benutzer […] aufgezeichnet wird. Die Identitäten würden jedoch nicht an Dritte oder Regierungen weitergegeben, es sei denn, dies wäre gesetzlich vorgeschrieben.«
Hier finden Sie Lagardes Rede zur bargeldlosen Gesellschaft:
Für EZB-Chefin Christine Lagarde ist die Bargeldabschaffung ein geldpolitisches Instrument
Bevor Lagarde zur neuen Präsidentin der Europäischen Zentralbank gewählt werden konnte, musste sie sich am 4. September 2019 den Fragen der Mitglieder des Ausschusses für Wirtschaft und Währung des EU-Parlaments (ECON) stellen:
»Sie sagten, dass wir die neuen innovativen Mittel nutzen müssen. Und ich war sehr interessiert, die Studien des IWF zu lesen, die während ihrer Amtszeit veröffentlicht wurden, in denen es hieß, dass Bargeld eliminiert, dass negative Zinsen anders behandelt werden sollten […]. […].Welche dieser Optionen ist es, an die Sie denken, wenn Sie sagen, dass wir mit neuen innovativen Mitteln arbeiten müssen, um das Mandat der EZB erfüllen zu können?«
Lagarde antwortete auf diese Frage nur ausweichend. Zu den negativen Zinsen oder zur angesprochenen Bargeldabschaffung äußerte sie sich nicht. In wenigen Worten zusammengefasst wies sie stattdessen darauf hin, dass um das Jahr 2008 kaum jemand mit den Maßnahmen gerechnet habe, mit denen die Europäische Zentralbank später probierte, gegen Krisensituationen anzukämpfen. Und jetzt, wo man nach vorne schauen sollte, müsste wieder sorgfältig abgewogen werden, was die besten Optionen sind. Lagardes Antwort können Sie hier nachhören.
Die Bargeldabschaffung scheitert nicht am Gesetz
Christine Lagarde ist sich den katastrophalen Folgen der Bargeldabschaffung vermutlich nicht bewusst. Fehlt noch, dass es auch dem Bürger an Bewusstsein mangelt. Mit Frau Lagarde wurde erstmals ein Rechtsanwalt anstatt eines Ökonoms Chef der Europäischen Zentralbank. Als Jurist lernt man, überzeugend darzulegen, warum ein Sachverhalt als legal oder illegal zu verstehen und auszulegen ist, weshalb er dies oder aber jenes darstellt: Im Falle der Bargeldabschaffung kann man sich also überlegen, ob es sich um einen fatalen und weitreichenden Eingriff in die Grundfreiheiten des Menschen von heute und morgen handelt oder ob es eine vertretbare geldpolitische Maßnahme im Interesse aller ist.
Das Bargeld wird nicht überleben können, wenn es nicht genutzt und wertgeschätzt wird. Es braucht den Rückhalt in der Bevölkerung. Wir können das Wort Bargeld gerade so gut durch »Freiheit« ersetzen. Es gilt dasselbe.
Der gelebte Wille des Bürgers entscheidet über die Zukunft: Existiert beim Menschen ein hohes Bewusstsein über Wert und Nutzen von Bargeld und die Tragweite von gutem und verantwortungsvollen Umgang mit Geld, wird er seine Freiheit, bar zu bezahlen, schützen und vor allem nutzen. Die Finanzindustrie und die anderen Interessengruppen hinter der Bargeldabschaffung werden in der Folge dem Bürger gegenüber machtlos sein und vielleicht sogar umdenken.
Mit jeder Banknote, die wir einem Verkäufer überreichen, stimmen wir für den Erhalt des Bargelds ab. Wenn wir das unterlassen und bargeldlos zahlen, drücken wir unsere Gleichgültigkeit aus und erreichen, dass das Bargeld in einer Krise durch eine geldpolitische Maßnahme abgeschafft wird. Welche Umstände es sind, unter denen staatliche Institutionen während einer Finanz- und Wirtschaftskrise das Bargeld abschaffen wollen könnten, lesen Sie in folgendem Artikel im Abschnitt über die »akademische Garderobe«. Von EZB-Direktor Yves Mersch wissen wir jedenfalls, dass Banknoten und Münzen im Umfeld der Europäischen Zentralbank schon jetzt und nicht erst seit gestern »per se kritisch hinterfragt« werden. Solange Bargeld aber unsere tägliche Wahl ist, scheitert die Bargeldabschaffung am Bürger.
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