Ministerpräsident Conte kündigt die Bargeldabschaffung in Italien an
Giuseppe Conte kündigt seinem angeschlagenen Land im Juni 2020 einen Wiederaufbau an, finanziert mit Mitteln der EU-Staaten. Gleichzeitig gibt er auch bekannt, dass es in naher Zukunft in Italien ein Bargeldverbot geben werde. Eine Schlüsselrolle in der Übergangszeit kommt dem Einzelhandel zu, denn für ihn könnte es sich ab dem 1. Juli auszahlen, wenn seine Kunden bargeldlos bezahlen und die Barkasse geschlossen bleibt. Die Argumente von Ministerpräsident Conte unterscheiden sich nicht von den Begründungen, mit denen andere EU-Länder in der Vergangenheit Bargeldobergrenzen gerechtfertigt hatten.
Inhaltsübersicht:
- Italien will das Bargeld abschaffen
- Eine Bargeldabschaffung löst nicht das Problem der Schattenwirtschaft
- Südtirol will in Brüssel für europaweite Maßnahmen in Richtung Bargeldverbot werben
- Was bedeutet für die EU die Ankündigung Italiens, das Bargeld abschaffen zu wollen?
- Startschuss 1. Juli 2020: Ab jetzt soll der italienische Handel den Staat bei der Bargeldabschaffung unterstützen
- Italien will auch den Konsumenten für die Bargeldabschaffung gewinnen
Italien will das Bargeld abschaffen
Im Juni 2020 ist folgende Meldung durch die italienische Presse gegangen:
»Der Ministerpräsident will beim Wiederaufbau auf EU-Zuschüsse und die Abschaffung des Bargeldes im Kampf gegen Schattenwirtschaft setzen. […]. Ein besseres Italien gebe es nur, wenn Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft entschieden bekämpft würden. Daher müsse sich Italien auch vom Bargeld verabschieden und auf Kreditkarten und Bancomat umsteigen. Dabei soll es keinen Zwang und keine Strafen geben, sondern eine Umstellung mit Anreizen.«
Siehe auch: https://www.suedtirolnews.it/italien/bargeld-soll-langsam-abgeschafft-werden
Wenn Sie Italienisch verstehen, können Sie auch hier ein Statement von Giuseppe Conte anhören: https://www.youtube.com/watch?v=38NUsQJV0Ic
Eine Bargeldabschaffung löst nicht das Problem der Schattenwirtschaft
Friedrich Schneider, international renommierter Experte für Schattenwirtschaft und Universitätsprofessor in Linz, äußerte sich zur Bargeldabschaffung wie folgt:
»Wenn wir wirklich Bargeld rasch und total abschaffen, dann gibt es eine leichte Reduktion von Schwarzarbeit von vielleicht fünf Prozent, es gibt eine ganz leichte Reduktion von Kriminalität von vielleicht auch drei Prozent […]. Also solange man die Ursache nicht beseitigt, warum schwarzgearbeitet wird oder warum es Kriminalität gibt, wird die Abschaffung von Bargeld gar nichts bis wenig bringen, um diese Kriminalitätsdelikte zu reduzieren.«
Bargeld hat mit Kriminalität nichts zu tun. Wer etwas Kriminelles im Sinn hat, kann natürlich Bargeld für sein Vorhaben nutzen. Aber wenn man nicht mehr anders als bargeldlos bezahlen kann, wird diese Person nicht fromm werden, sondern einen neuen Weg zum Ziel suchen.
Tragisch ist nur, dass Menschen, die Gutes im Sinn haben – sagen wir, 95% der Italiener – nach einem Bargeldverbot für ihre ehrenwerten Absichten und ihre guten Projekte keine Unterstützung mehr von den Vorzügen des Bargelds erfahren können. Zu den Vorzügen der Scheine und Münzen gehört z.B., dass sie gegenüber allen anderen herkömmlichen Zahlungsarten den Nutzer am besten vor Verschuldung bewahren können. In einer Wirtschaftskrise, wie wir sie gerade erleben, ist das von höchster Bedeutung.
Wir können also mit folgendem Fazit schließen:
1) Die Bargeldabschaffung in Italien ist ein 5%iger Kampf gegen unstatthafte Ziele, bei denen Banknoten und Münzen eine Rolle spielen können.
2) Die Bargeldabschaffung in Italien kommt einem 95%igen Kampf gegen ehrenwerte Absichten gleich. Alles Gute braucht einen freien Raum, um sich entfalten zu können. Bargeld ist die letzte Säule, die ihn aufrechterhält.
Südtirol will in Brüssel für europaweite Maßnahmen in Richtung Bargeldverbot werben
Die Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher antwortet am 13. Juli 2020 auf die Anfrage einer Landtagsabgeordneten zu Contes Plänen für die Bargeldabschaffung:
»Die Landesregierung verfolgt aufmerksam die laufenden Bestrebungen der Regierung zur schrittweisen Einschränkung des Bargeldverkehr. Als Grenzregion und Tourismusland weist die Landesregierung zusammen mit den Südtiroler Vertretern in Rom und Brüssel jedoch auch darauf hin, dass eine einheitliche Regelung des Bargeldverkehrs im gesamten EURO-Raum zielführender ist als staatliche Einzellösungen.«
Was bedeutet für die EU die Ankündigung Italiens, das Bargeld abschaffen zu wollen?
Aus rechtlicher Sicht kann Rom das Bargeld nicht im Alleingang abschaffen. Italien müsste aus der Europäischen Union austreten, um den Euroraum verlassen zu können. Die Geldpolitik für ein Euroland ist Sache der Europäischen Zentralbank. Im Übrigen wäre ein Änderungsvertrag zur Abänderung der bestehenden EU-Verträge erforderlich, dem alle 27 Mitgliedsländer der Europäischen Union zustimmen müssten: Nach den bestehenden EU-Verträgen besitzen nämlich Euro-Banknoten den Status eines gesetzlichen Zahlungsmittels (Art. 128 AEUV), was bedeutet, dass auch kein Organ der Europäischen Union anstelle Italiens so einfach ein Bargeldverbot verordnen könnte.
Aber das Statement von Giuseppe Conte birgt eine große Gefahr, denn er zeigt damit offen Flagge für die Bargeldabschaffung und könnte damit zu einem Vorbild oder Vorreiter für andere EU-Länder werden. Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft unter den Euroländern und hat damit einen starken Einfluss in Brüssel. Auch stellt das Land in der Regel ein Mitglied des Vorsitzes der Europäischen Zentralbank. Auf diesem Weg könnte Rom darauf dringen, dass die EZB die Ausgabe der Banknoten einstellt, wie es bereits mit dem 500-Euro-Schein geschehen ist. Nur eine Berücksichtigung der wesentlichen Grundfreiheiten und Grundrechte des Menschen kann dem Einhalt gebieten.
Die Bargeldabschaffung und die Grundfreiheiten
Heute würden viele Juristen ein solches Vorgehen und die Bargeldabschaffung generell als unvereinbar mit einigen der wichtigen Grundfreiheiten in der Europäischen Union einstufen. Aber morgen, wenn Bargeld seine Dominanz weitgehend eingebüßt hat oder eine digitale Währung bereitsteht (der durch die EU-Kommission im Weg der Verordnung ebenfalls der Status als gesetzliches Zahlungsmittel zugesprochen worden wäre), könnte die Bewertung ganz anders ausfallen: »Die Bargeldabschaffung ist verhältnismäßig.«
Vor diesem Hintergrund erscheint ein Bargeldverbot durch Italien im Alleingang sehr fragwürdig, vor allem im Hinblick auf das europäische Recht (die Grundrechte in der Europäischen Union, die EU-Verträge und die Hoheit der Europäischen Union in währungspolitischen Fragen eines Eurolands). Anreize zum Verzicht auf Bargeld und zur Nutzung bargeldloser Zahlungsmittel sind zunächst eine Benachteiligung für Menschen, die mit Bargeld zahlen, und letzten Endes nichts anderes wie eine Strafe, die die zuständigen EU-Organe auf den Plan rufen sollte, um sie zu unterbinden. Entweder übergeht Rom Gesetz und Verträge oder es verlässt den Euroraum. Ansonsten muss Italien in der Europäischen Union auf vollständige Bargeldlosigkeit dringen.
Ein neuer EU-Vertrag für eine bargeldlose Union
Was wir aber auch nicht wissen, ist, ob es im Zuge der aktuellen Krise einen neuen EU-Vertrag geben wird, der die bisherigen Verträge ersetzt. Solches wurde von Österreichs Kanzler Kurz vor der Europawahl 2019 gefordert und im Mai 2020 bekräftigt. Dann könnten die Euroländer plötzlich die Kompetenz verlieren, Münzen zu prägen, einer geplanten digitalen Eurowährung würde im Voraus eine Grundlage geschaffen und Banknoten wären kein gesetzliches Zahlungsmittel mehr. Und auf einmal hätten EZB, Ministerrat und EU-Kommission alle Werkzeuge in der Hand, Bargeld gänzlich abzuschaffen.
Startschuss 1. Juli 2020: Ab jetzt soll der italienische Handel den Staat bei der Bargeldabschaffung unterstützen
Ab dem 1. Juli 2020 erhalten Unternehmen mit Gesamtumsatz von maximal 400.000 Euro jährlich 30% der Kosten für die Transaktionsgebühren von Kreditkartenkonzernen und Banken, die bei der bargeldlosen Bezahlung dem Händler entstehen, in Form einer Steuergutschrift erstattet.
Informationen dazu:
Die originalen Ausführungsbestimmungen des Direktors der Steuerbehörde Ernesto Maria Ruffini: https://www.agenziaentrate.gov.it/portale/documents/20143/2468489/ENTRATE_Provvedimento+AdE+Credito+Imposta+pagamenti+elettronici+-+art+22_DL+124-2019_vfin.pdf
Das zugrundeliegende Gesetz: https://www.fiscal-focus.it/all/Il_testo_della_legge_157-2019_di_conversione_del_dl_124-2019_decreto_fiscale_collegato_alla_manovra_2020.pdf
Damit dürfte bargeldlos bezahlen für den kleinen Einzelhandel 30% günstiger werden. Und weil Bargeld nicht zuletzt durch die Münzgeldprüfverordnung der EU für Händler teuer geworden ist (Banken verlangen jetzt vielfach 1 Cent Gebühr für jede eingezahlte Münze), und ohnehin Zeit braucht (Geld zählen, bei der Bank einzahlen gehen), könnte die digitale Zahlung von immer mehr Händlern als wirtschaftlich günstiger betrachtet werden:
Prof. Malte Krüger warnte am 18. Juni 2020 beim Gespräch »Welt ohne Bargeld« im Bundestag, dass wenn weniger Menschen mit Bargeld und eher bargeldlos bezahlen, es nicht mehr lukrativ, sondern lästig für den Händler sein kann, weiterhin eine Barkasse neben dem elektronischen Bezahlterminal betreiben zu müssen. Die kritische Schwelle ist laut Krüger erreicht, wenn nur noch bei 25–30% der Einkäufe Bargeld zum Einsatz kommt. Diese Aussage bestätigte auch ein Vertreter des Handelsverbands Deutschland während dem Fachgespräch. Nur! Wenn bargeldlos bezahlen in Italien um ein Drittel billiger wird, ist die von Krüger genannte Schwelle vielleicht schon bei einer Barzahlquote von 40% erreicht.
Italien will auch den Konsumenten für die Bargeldabschaffung gewinnen
Bereits im Herbst 2019 berichtete die ARD, dass Italien vorsieht, ab 2021 dem Konsumenten einen Bonus auszuschütten, wenn er bargeldlos bezahlt (mittlerweile befindet sich diese Maßnahme in der Umsetzung). Zugleich soll Geschäften, die Karten ablehnen, eine Strafe aufgebrummt werden:
https://boerse.ard.de/anlagestrategie/regionen/italien-sagt-basta-bargeld100.html
Übrigens ist am 1. Juli 2020 nicht nur der Steuerbonus von 30% für den Händler eingeführt worden. Auch die Bargeldobergrenze ist in Italien von 3000 auf 2000 Euro gesunken. Beträge über diesen 2000 Euro dürfen nicht mehr bar, sondern nur mehr bargeldlos bezahlt werden. Zum 1. Januar 2022 soll die Grenze auf 1000 Euro sinken.
Erfahren Sie hier mehr über die Geschichte der Bargeldbedrängung und schrittweisen Bargeldabschaffung in Italien.
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